Krisenintervention

Die Krisenintervention (Kriseninterventionsteam KIT bzw. Kriseninterventionsdienst KID) kümmert sich um die Akutbetreuung von traumatisierten Menschen. Sie wird u. a. eingesetzt zur Betreuung von Angehörigen bzw. Betroffenen nach tödlichen Verkehrs- oder Hausunfällen, nach Suizid (Selbsttötung), nach plötzlichem Säuglingstod sowie nach Gewaltverbrechen. Ebenso gehört die Überbringung der Todesnachricht (in Zusammenarbeit mit der Polizei) dazu. Mögliche Einsatzindikationen sind auch die Betreuung von Einsatzkräften nach belastenden Einsätzen sowie die Unterstützung bei Großschadensereignissen. Auch bei laufenden Reanimationen (Wiederbelebungen) sowie zur Betreuung von Fahrzeugführern nach tödlichen Bahnunfällen kommt KIT zum Einsatz. Die Alarmierung erfolgt meist durch die vor Ort befindlichen Einsatzkräfte bzw. durch Polizei oder Rettungsleitstelle. Die Mitarbeiter, die meist ehrenamtlich tätig sind, verfügen in der Regel über notfallmedizinisches oder psychologisch/seelsorgerisches Fachwissen und werden für die KIT-Tätigkeit speziell ausgebildet.


Nachfolgend ein Artikel, den ich für die Fachzeitschrift “Der Wegbegleiter” von der IGSL (Internationale Gesellschaft für Sterbe- und Lebensbegleitung) geschrieben habe:

Krisenintervention - Erste Hilfe für die Seele -

- Ein Erfahrungsbericht von Oliver Junker -


Es ist Samstag, kurz vor Mitternacht. Der Funkmeldeempfänger (“Piepser”) geht. Nachricht der Rettungsleitstelle: Einsatz für die Krisenintervention. Schwerer Verkehrsunfall mit Todesfolge. Also los. Einsatzjacke anziehen, zum Auto und losfahren. Auf der Fahrt gehen mir einige Gedanken durch den Kopf: “Den Unfallort kenne ich. Eine unübersichtliche Strecke ... und ganz in der Nähe ist eine Disco. Hoffentlich ist es niemand, den ich kenne.” Vor Ort das (aus vielen Jahren Rettungsdienst) leider so vertraute Bild: Zahlreiche Fahrzeuge mit blinkenden Blaulichtern. Von Scheinwerfern hell erleuchtet das Unfallauto, besser gesagt, das, was davon noch übrig.

Der Einsatzleiter Rettungsdienst wartet schon. Kurze Information über den Unfallhergang, dann der unvermeidliche Blick auf den verunglückten Fahrer. “Mein Gott - so jung noch.” Inzwischen konnten die Personalien ermittelt werden. Die Eltern wohnen in der Nähe. Zusammen mit zwei Polizisten verlasse ich die Unfallstelle und fahre zum Elternhaus. Dort ist alles dunkel. Wir klingeln. Jetzt tief durchatmen. Eine Frau im Nachthemd öffnet uns nach längerem Warten. Ich stelle mich vor und bitte darum, hineinkommen zu dürfen. Ihr Blick sagt alles, sie spürt genau, warum ich hier bin. Wortlos führt sie uns ins Wohnzimmer. Ihr Mann kommt dazu.

Jetzt muss ich das aussprechen, was mir so unsagbar schwerfällt: “Ihr Sohn ist tödlich verunglückt.” Zuerst Schweigen. Die Polizisten betrachten den Fußboden und warten. Die Mutter sieht mich an und schüttelt den Kopf. “Nein, mein Sohn fährt immer vorsichtig. Das kann nicht sein.” Ich setze mich zu ihr und erzähle ihr, was passiert ist. Sie beginnt zu weinen und zu schreien. Der Vater steht stumm da und scheint uns nicht mehr wahrzunehmen. Die Polizisten müssen ihre Arbeit machen und stellen einige Fragen. Dann gehen sie, froh darüber, das Haus verlassen zu können. Ich bleibe sitzen und halte das Schreien und Weinen der Frau aus. Nach einer Weile kann ich auch den Vater dazu bringen, dass er sich zu uns setzt. “Ich bin jetzt einfach für Sie da und versuche Ihnen, soweit es mir möglich ist, zu helfen”, sage ich leise zu den Eltern. Dann schildere ich nochmals, was passiert ist und warum Notarzt und Rettungsdienst ihrem Sohn nicht mehr helfen konnten, obwohl sie so schnell an der Unfallstelle waren.

“Ich möchte meinen Sohn sehen”, sagt die Mutter zu mir. Ich telefoniere mit der Einsatzleitung, der Polizei und dem Bestattungsunternehmen. Im Moment ist es nicht möglich, den Verstorbenen zu sehen, da die Ermittlungsarbeiten noch nicht abgeschlossen sind. Die Angehörigen können so etwas nicht verstehen. Ich muss mich jedoch daran halten. Es entstehen nun längere Gespräche mit der Mutter. Sie zeigt mir Fotos von ihrem Sohn, erzählt von seinen beruflichen Plänen. Der Vater beteiligt sich kaum, sitzt regungslos da. Es klingelt an der Tür. Die Schwester und wichtigste Vertrauensperson des Verunglückten. Sie wurde von mir informiert und kam sofort. Sie umarmt die Eltern und weint. Jetzt weint auch der Vater. Ich sitze da und kämpfe mit den Tränen. “WARUM ?” - diese Frage stellt sich nicht nur den Angehörigen, sondern auch mir - jedes Mal wieder. Die Mutter fängt an, Kaffee zu kochen. Sie läuft unruhig hin und her. Die Schwester möchte von mir hören, was vorgefallen ist. Sie weint heftig. Ich lege ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter. Sie lässt es zu und fängt an, von ihrem Bruder zu erzählen. Es fällt ihr schwer, immer wieder weint sie und kann sich kaum beruhigen. Ich bin da und höre zu. Die Zeit vergeht. Gespräche, Schweigen, Weinen, Verzweiflung.

”Was sollen wir nur machen, wie geht es weiter?”, will die Schwester von mir wissen. Ausführlich erkläre ich, was derzeit geschieht und was passieren wird. Ich notiere Namen, Telefonnummern und Ansprechpartner. Dann beschreibe ich, wann es möglich ist, den Sohn und Bruder zu sehen. Hierfür biete ich an, die Eltern und die Schwester zu begleiten - sofern sie es möchten. Es ist jetzt kurz nach drei. Ich fühle, dass es in Ordnung ist. wenn ich jetzt gehe. Mit einem langen Händedruck verabschiede ich mich von der Mutter und der Schwester. “Ich wünsche Ihnen viel Kraft für diese schwere Zeit”, mehr kann ich in diesem Moment nicht sagen.

Der Vater begleitet mich hinaus. Ich hatte nicht viel mit ihm sprechen können. Er legt plötzlich seine Hand auf meine Schulter. “Danke, dass Sie da waren”. Dann fängt er an zu reden und zu weinen. Er möchte nicht, dass Frau und Tochter sehen, wie sehr er leidet. Er spricht von seinem Geschäft, das sein Sohn einmal über- nehmen sollte, von dem letzten gemeinsamen Urlaub, dass sein Sohn erst wenige Wochen den Führerschein hatte. Wir stehen noch eine halbe Stunde vor der Haustür und sprechen leise miteinander. Anschließend steige ich in mein Auto und fahre zurück. Mein Weg führt mich an der Unfallstelle vorbei. Bis auf den beschädigten Baum am Straßenrand ist nichts mehr zu sehen, so, als wäre nichts passiert.

Daheim angekommen, erledige ich den notwendigen Schriftkram und denke über den Einsatz nach. Ich weiß, dass ich den Unfall nicht verhindern konnte. Doch durch meine Anwesenheit konnte ich für kurze Zeit zu einem wichtigen Begleiter für die Betroffenen werden. Ich war da, habe zugehört, ein wenig getröstet (soweit das überhaupt möglich ist) und das getan, was mir möglich war. Es war nicht viel, aber unter diesen Umständen sicher ganz wichtig.


Im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit in der Krisenintervention nachfolgend zwei Zeitungsartikel

Artikel KIT-Einsatz Eishockey


FFB Tagblatt


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